Anlagen-Schutz-Management RCM

27. November 2020

Das Differenzstrommonitoring im industriellen Umfeld

Ein Fehlerstromschutzschalter (Residual Current protective Device, RCD – früher FI-Schutzschalter) ist seit vielen Jahrzehnten eine Standardkomponente in der elektrischen Unterverteilung. Auch in unserer Wohnung befindet sich ein RCD. Dieser Schalter besitzt einen Bemessungsdifferenzstrom von 30 mA. Normativ ist die Auslösung zwischen 50 und 100 % des Bemessungsdifferenzstroms festgelegt. Bei einer Auslösung des 30 mA RCDs muss also ein Differenzstrom zwischen 15 und 30 mA vorliegen. Der Schwellwert von 30 mA soll den Personenschutz gewährleisten, der überall dort erforderlich ist, wo frei zugängliche Steckdosen vorhanden sind.

Im industriellen Umfeld finden wir neben den Verwaltungsgebäuden, die mit 30 mA RCDs abgesichert sind, meist größere Maschinen, die für die Produktion eingesetzt werden. Auch wenn diese Maschinen über keine freizugänglichen Steckdosen verfügen, wäre eine Absicherung über RCDs ebenfalls sinnvoll. Ein Anlagendefekt kann zu elektrisch gezündeten Bränden führen. Eventuell könnte auch ein größerer Schaden der Anlage verhindert werden, wenn ein kleinerer Defekt frühzeitig erkannt werden könnte. Ein großer Nachteil bei der Absicherung der Anlagen mit einem RCD ist dann aber ein nicht vorhersehbares plötzliches Abschalten der Anlage. Eine unkontrollierte und unerwartete Anlagenabschaltung kann in einigen Industriezweigen schnell Kosten in Höhe eines fünf- bis sechsstelligen Betrages ausmachen.

Abhilfe schaffen Differenzstrommonitore mit denen der Differenzstrom gemessen werden kann. Über Differenzstrommonitore kann ein Anstieg des Differenzstroms frühzeitig detektiert und gemeldet werden. Durch eine kontrollierte Abschaltung können somit Reparaturmaßnahmen besser koordiniert werden. Die Anlagenverfügbarkeit kann gesteigert werden. Die Wahrscheinlichkeit für einen Produktionsausfall sinkt.

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In der oberen Abbildung wird deutlich, dass im Gegensatz zum RCD ein Residual Current Monitor (RCM) die Zuleitung nicht selbständig unterbrechen kann. Der Differenzstrom wird lediglich gemessen und über eine geeignete Schnittstelle ausgegeben. Zusätzlich verfügen RCMs über einen oder mehrere Relais-Ausgänge, über die wiederum Leistungsschalter gesteuert werden können.

Neben der Anlagenverfügbarkeit ist die Sicherheit ebenfalls von höchster Wichtigkeit. Defekte Anlagen können nicht nur Produktionsabläufe stören, sondern auch zu Personenschäden führen. Diesem Umstand trägt die DGUV Vorschrift 3 Rechnung. Sie sieht eine regelmäßige Überprüfung der Anlage vor. Bestandteil dieser so genannten Wiederholungsprüfung ist immer auch die Isolationsprüfung, die oftmals sehr zeitaufwendig und damit kostenintensiv ist. Eventuell müssen gemäß der Herstellerangabe sogar einzelne Geräte der Gesamtanlage wie z. B. Frequenzumrichter oder Schaltnetzteile für diesen Test abgeklemmt werden, da diese durch die Isolationsprüfung geschädigt werden können. Darüber hinaus muss die Anlage für die Messung des Isolationswiderstandes abgeschaltet werden.

Differenzstrommonitore können auch hier für das Unternehmen einen deutlichen Mehrwert bieten, denn die aktuelle DIN VDE 0105-100/ A1:10/15 weist ausdrücklich darauf hin, dass auf eine Messung des Isolationswiderstandes verzichtet werden kann, wenn die Überwachung der Anlage durch ein Differenzstrom-Überwachungsgerät gemäß der DIN 62020 in Verbindung mit einer kontinuierlichen Instandhaltung durch Elektrofachkräfte gewährleistet ist.

Ein dritter Einsatzbereich des RCMs ist der Brandschutz von Anlagen. Rund 30 Prozent aller registrierten Brände sind auf Störungen oder Mängel in elektrischen Anlagen zurückzuführen. Die Absicherung über ein RCD mit 300 mA kann aufgrund von sehr hohen systembedingten Ableitströmen der Anlage oftmals zu Fehlauslösungen führen. Hier greift die VDE 0100 Teil 420, die besagt, dass Differenzstrommonitore in Verbindung mit einem Leistungsschalter zur Vermeidung von elektrisch gezündeten Bränden durch Isolationsfehler zur Anlagenabschaltung verwendet werden dürfen, sofern Fehlerstromschutzschalter aus technischen Gründen ausscheiden.

Systembedingte Ableitströme

Wie bereits aus dem Power Quality-Bereich bekannt, stellen die Anlagen mit Frequenzumrichter-Technologie nicht-lineare Lasten dar. Auf den drei Leitern L1, L2 und L3 fließen keine sinusförmigen Ströme, sondern es zeigt sich eher eine 50 Hz Grundschwingung mit teils großen Oberschwingungsanteilen in Abhängigkeit von der jeweiligen Halbleiterschaltung.

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Aus Power-Quality-Sicht wären Filtermaßnahmen wünschenswert, um bei hohen Anlagenströmen negative Rückwirkungen auf die Spannungsqualität in dem eigenen Versorgungsnetz zu minimieren. Oftmals werden diverse Filtermaßnahmen seitens des Frequenzumrichterherstellers ausgeführt, um den THDi 1 zu senken. Diese Filtermaßnahmen führen oftmals große Oberschwingungsanteile des Stroms gegen den PE-Schutzleiter ab. Was aus Power-Quality-Sicht sehr löblich ist, wird für die herkömmlichen RCDs zum Problem. Es ergibt sich ein systembedingter Ableitstrom, der einen dauernden Differenzstrom bedingt. Dieser systembedingte Ableitstrom führt bereits in vielen Anwendungen zu unerwünschten Auslösungen der verwendeten RCDs, sei es für Personen- oder Brandschutzanwendungen.

1 THDi = Total Harmonic Distortion (Strom), Gesamte harmonische Verzerrung des Stroms

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Wie in obiger Abbildung ersichtlich, können Ableitströme durch Entstörkapazitäten oder auch durch parasitäre Kapazitäten entstehen. Aus diesen kapazitiven Strömen ergibt sich der systembedingte Ableitstrom. Ein nun auftretender Leckstrom aufgrund eines Isolationsfehlers wird den Grundpegel entsprechend erhöhen. Die Summe aus systembedingten Ableitstrom und Fehlerstrom ergibt den Differenzstrom, der durch den RCD bzw. RCM detektiert wird. In einigen Anlagen können bereits die systembedingten Ableitströme RCDs zum Auslösen bringen.

Differenzströme in der Praxis

Aus der Theorie gehen wir nun in die Praxis über und schauen uns an Anlagen der MBS AG reale Differenzströme an. Bei der ersten Anlage handelt es sich um eine CNC-Maschine mit einem Nennstrom auf den drei Phasen von 150 A. Der Differenzstrom liegt bei ca. 50-60 mA (Effektivwert) und die Kurvenform sieht wie folgt aus.

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Zerlegen wir dieses Signal in seine Frequenzanteile ergibt sich folgendes Bild.

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Größere Amplituden befinden sich bei 50 Hz und zwischen 150 und 1.050 Hz. Diese Amplituden lassen den Schluss zu, dass diese Anlage mit einem Drei-Phasen-Frequenzumrichter betrieben wird, der mit internen EMV-Filtern ausgerüstet ist. Die Oberschwingungen werden gegen Erde abgeführt und zeigen sich somit im systembedingten Ableitstrom. Im Allgemeinen können Frequenzanteile gemäß der folgenden Tabelle interpretiert werden

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Grundsätzlich wäre es möglich, diese Anlage bezüglich Anlagenschutz mit einem 300 mA RCD auszustatten. Gemäß der DIN VDE 0100-530 (2018-06) wird in Abschnitt 531.3.2 erklärt:

Der betriebsbedingte Ableitstrom in Schutzleitersystemen sollte maximal das 0,3-fache des Bemessungsfehlerstroms bei Fehlerstrom-Schutz-Schaltern betragen dürfen, um unerwünschte Abschaltungen zu vermeiden.

Da im Betrieb der Anlage ein Differenzstrom von 50 bis 60 mA gemessen wird, liegen wir unter den normativ vorgegebenen 90 mA (0,3×300 mA=90 mA) eines RCDs für Brandschutzanwendungen. Ein unkontrolliertes Abschalten wäre aber auch hier ein mögliches Szenario, denn Einschalttransienten könnten eine ungewollte Auslösung ab 150 mA (50 % von 300 mA) begünstigen.

Schauen wir uns eine weitere Anlage an, wo Einschalttransienten detektiert werden konnten. Es handelt sich hierbei auch wieder um eine Anlage, die mit Frequenzumrichtern ausgestattet ist.

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In dem abgebildeten Zeitfenster von 20 ms erkennen wir drei fast sinusförmige Grundschwingungen. Drei Schwingungen in 20 ms bedeuten, dass wir bei einer FFT-Analyse den größten Amplitudenwert bei 150 Hz sehen werden. Die höherfrequenten Anteile im Diagramm zeigen die Taktfrequenz des Frequenzumrichters. Sie liegt bei 18 kHz und wird entweder durch EMV-Filter oder parasitäre Kapazitäten gegen Erde zumindest teilweise abgeleitet, so dass sich dieser systembedingte Ableitstrom ebenfalls im Differenzstrom zeigt. Der Effektivwert des Differenzstroms liegt zwischen 250 und 260 mA. Ein 300 mA RCD wäre hier nicht zu gebrauchen, da eine mögliche Auslösung bereits bei 150 mA (50 % von 300 mA) nicht ausgeschlossen werden kann.

2 DIN VDE 0100-530 VDE 0100-530:2018-06 Errichten von Niederspannungsanlagen Teil 530: Auswahl und Errichtung elektrischer Betriebsmittel – Schalt und Steuergeräte

Kommen wir nun zu den in der Praxis gefürchteten Einschalttransienten, die oft zu Fehlalarmen führen. In der unteren Abbildung sind Transienten bis 1.800 mA erkennbar.

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Aufgenommen wurden die Messkurven mit dem Leakwatch Messsystem und einer Messstromzange, die bis 50 kHz spezifiziert ist. Mit noch höher auflösenden Messmitteln wären die Transienten eventuell noch größer ausgefallen. In der Literatur wird von Messungen berichtet, die beim Ein- und Ausschalten von Antriebreglern Ableitströme bis 200 A über 20 µs nachweisen konnten. Neben den Fehlalarmen aufgrund von Ein- und Ausschalttransienten können Differenzströme auch einen Gleichanteil aufweisen, der im Zwischenkreis des Frequenzumrichters entstehen kann (siehe Abbildung 3). Dies kann zu einem veränderten magnetischen Arbeitspunkt im Summenstromwandler des RCDs führen. Der durch den Stromwandler fließende Differenzstrom kann dann nicht mehr in der gesamten Amplitude im vorgegebenen Übersetzungsverhältnis auf die Sekundärseite transformiert werden. Die Amplitude der Wechselstromkomponente wird nur noch teilweise bis gar nicht übertragen.

Stationäres Monitoring von Differenzströmen in der Praxis

Für das stationäre Monitoring von Differenzströmen ist daher ein Gerät erforderlich, dass AC und DC-Differenzströme messen kann. Gleichzeitig sollten Optionen verfügbar sein, die Fehlalarme unterdrücken können. Diese zentralen Punkte sind im neuen Differenzstrommonitor RCMB 70 von der MBS AG umgesetzt.

3 G. Schenke, T. Dunz, U. Schüler, M. Schmidt, G. Grünebast: Personenschutz in Netzen mit Frequenzumrichtern, etz Heft S2/2004, VDE-  Verlag GmbH, Offenbach

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Der Differenzstrommonitor verfügt über das aus dem Laborbereich bekannte Zero-Flux-Prinzip mit mehreren Kernen. AC- und DC-Ströme können gleichermaßen detektiert werden. Darüber hinaus ist es möglich, am Bedienterminal diverse Konfigurationen vorzunehmen, die die nachteiligen Auswirkungen der Ein- und Ausschalttransienten auf das auszuwertende Messergebnis unterdrücken können.

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Das Bedienterminal erlaubt dem Benutzer, für das integrierte Relais verschiedene Schwellwerte zu definieren (Rated RC Limit). Der Messwert wird an einer 4-20 mA DC Schnittstelle als Echteffektivwert ausgeben und kann über entsprechende Konverter an verschiedenste Feldbussystem bzw. Maschinensteuerungen angebunden werden. Höhere Frequenzanteile können wahlweise deaktiviert werden (Frequency Range). Ein- und Auschalttransienten können durch eine langes Integrationsintervall (Integration Time: long = 1000 ms) als Mittelwert über das Integrationsintervall entschärft werden. Die für Maschinen gültige maximale Abschaltzeit von 5 s kann mit dieser Konfiguration immer noch deutlich unterboten werden. Gleichzeitig ist das Messsystem bei zentrischer und gebündelter Durchführung der relevanten Leiter selbst bei kleinen Differenzströmen hochgenau.

4 DIN EN 60204-1 VDE 0113-1:2019-06 Sicherheit von Maschinen – Elektrische Ausrüstung von Maschinen

 

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Wird nun ein Differenzstrom aus AC- und DC-Anteilen generiert, was bei Anlagen mit Frequenzumrichter durchaus vorkommen kann, sind die Unterschiede noch deutlicher.

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Der Maschinenüberwachung sollte jetzt nichts mehr im Wege stehen.